Extrusion 1-2017
21 Extrusion 1/2017 • Die optimale Verteilung der Funktionalitäten (sogenannte Ser- vices) in der Cyber-physischen System-Architektur führt zu Ska- leneffekten und hoher Funktionsadaptivität entlang des gesam- ten Lebenszyklus von technischen Systemen. • Die massendatenbasierte Prognose von Zukunftsszenarien auf Basis des digitalen Schattens der Realität legt die Grundlage für eine hohe Produktivität und Agilität komplexer Wertschöp- fungssysteme. • Die verschwendungsfreie Einbindung der Mitarbeiter durch adaptive und selbstlernende Mensch-Maschine-Schnittstellen sorgt für umfassende Akzeptanz im Arbeitssystem und schafft die Basis für agile, robuste und lernende Wertschöpfungssyste- me. Neue Technologien und neue Geschäftsmodelle lassen es also zu, Aufgaben zum Kunden zu delegieren, ihn an der Wert- schöpfung mitarbeiten zu lassen und die Wertschöpfungspart- ner (Lieferanten, Serviceprovider, …) effektiver einzubinden. Das Produkt kann zum Informationsträger werden und dadurch sämtliche Phasen seines Lebenszyklus autonom begleiten. Man spricht hierbei vom Produktgedächtnis. Auch dies eröffnet völ- lig neue Möglichkeiten zur Gestaltung und Optimierung der Wertschöpfung. Mit den neuen echtzeitfähigen Technologien und serviceorien- tierten Geschäftsmodellen entstehen in fast allen Bereichen der Wertschöpfung große Einsparpotenziale. Experten wie SEW Eu- rodrive-Geschäftsführer Johann Soder sprechen von einer mög- lichen Steigerung der Gesamtproduktivität von bis zu 50 Pro- zent durch Industrie 4.0. Bestandskosten können unter ande- rem durch die Supply-Chain-übergreifende Nutzung von Echt- zeitdaten über Bestandsmengen um bis zu 40 Prozent gesenkt werden. Fertigungs- und Logistikkosten haben ein Kostensen- kungspotential von zehn bis 30 Prozent, unter anderem durch den Einsatz von ‘smart wearables’ an Produktionsarbeitsplätzen oder durch den Einsatz von Analytics-Methoden zur Steigerung der Gesamteffizienz. Bei den Komplexitätskosten also den Kos- ten, die hauptsächlich in den indirekten Bereichen entstehen, sind durch die Einbindung der Kunden in die Wertschöpfung, die Nutzung von umfassenden Service-Angeboten und die De- zentralisierung sowie De-Hierarchisierung von Wertschöp- fungsverantwortung sogar bis zu 70 Prozent Kosteneinsparung möglich. Aufgrund des Prosumer-Modells (der Kunde ist hier nicht nur Konsument, sondern auch Produzent) werden Aufga- ben vom Kunden übernommen, für die vorher das produzie- rende Unternehmen zuständig war. Damit können weitere Kos- ten reduziert werden ( ). Ein Beispiel hierfür ist die Plattform von Local Motors [1], die ähnlich einem Social Network funktioniert und einen ganz neu- en Ansatz verfolgt: Die Konsumenten können Entwürfe für Au- toteile oder auch für das ganze Fahrzeugdesign hochladen und von der Community bewerten lassen. Das am besten bewerte- te Produkt wird dann im 3D-Druck produziert. Der Konsument kann so im Sinne eines Co-Working in die Produktion eingrei- fen und das Produkt personalisieren. Everything as a Service, das XaaS-Konzept, führt darüber hinaus dazu, dass es “Komplexitätsbündler” gibt, die sich auf ein The- ma konzentrieren und hier besondere Kompetenzen aufbauen. Sie bieten entsprechende Services an, etwa Einkaufsplattfor- men, die den günstigsten und den besten Lieferanten auswäh- len und die Bestellung übernehmen, sodass produzierende Un- ternehmen dies selbst nicht mehr übernehmen müssen. Den- noch kann das Unternehmen Skaleneffekte nutzen. Insgesamt wird das tayloristische Prinzip der Trennung von ausführender Arbeit und Wissensarbeit, mit Industrie 4.0 aufgehoben. Das Wissen wird mit Industrie 4.0 direkt an die Linie gebracht. Mitarbeiter werden wieder umfassend entscheidungskompe- tent (gegebenenfalls mit Hilfe von Assistenzsystemen) und kon- zentrieren sich auf hochwertige Aufgaben wie Entscheiden und Gestalten. Industrie 4.0 bringt so gesehen die Kompetenz der Ingenieure und Ingenieurinnen zurück in die direkte Wert- schöpfung und wertet den Produktionsarbeitsplatz auf. Literatur [1] Local Motors (Hrsg.): Internet: https://localmotors.com/. Zuletzt aufgerufen am 19.5.2016 Autoren Thomas Bauernhansl, Universität Stuttgart Jörg Krüger, Technische Universität Berlin Gunther Reinhardt, Technische Universität München Günther Schuh, RWTH Aachen und andere Die komplette Studie ist zu finden unter: Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik WGP e.V. c/o Technische Universität Darmstadt, Institut für Produktionsmanage- ment, Technologie und Werkzeugmaschinen PTW Prof. Dr.-Ing. Eberhard Abele Otto-Berndt-Str. , 64287 Darmstadt, Germany www.wgp.de/uploads/media/WGP-Standpunkt_Industrie_4-0.pdf Grafik: Wirtschaftliche Potenziale von Industrie 4.0 (© Fraunhofer IPA ergänzt durch Fraunhofer IPT)
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